Meerschweinchen und Sozialverhalten
von Beate Kleintitschen

Meerschweinchen sind in der Regel recht friedliebende, gesellige, freundliche und defensive Tiere. Außer kleineren Rang- und Revierstreitigkeiten sind sie ausgesprochen friedlich. Jedes Meerschweinchen hat einen anderen Charakter und somit gestaltet sich das Sozialverhalten recht unterschiedlich, spannend und interessant. Obwohl Meerschweinchen gesellig leben vertragen sie sich nicht unbedingt problemlos miteinander. Eine gute Zusammenführung ist daher sehr wichtig. Sie besitzen jedoch eine angeborene Beißhemmung. In einem Rudel gibt es immer eine festgelegte Rangordnung. Der Chef (Leittier) des Rudels muß nicht unbedingt ein kastrierter Bock sein, auch weibliche Meerschweinchen kommen als Anführerin in Frage.

Die absolute Chefin in der Quietscherranch ist unsere Jessica (9 Monate alt). Sie ist von ihrem Charakter ein ruhiges und gegenüber uns Menschen ein sehr zurückhaltendes Meerschweinchen. Sie hat in der Gruppe einen sehr strengen Führungsstil. Einfache Blicke von Jessica genügen oft um Ordnung zu schaffen. Sie wird schnell eifersüchtig wegen ihrem geliebten Sylvester. Im Harem verhält sich sich dominant, kann sich gut durchsetzen und beobachtet alles Geschehen ganz genau. Jessica geht auch mal dazwischen, wenn sich ihre Artgenossen streiten. Sie ist sehr viel mit Sylvester zusammen und läuft ihm nach . Die beiden sind ein richtiges Liebespaar. Auf uns Menschen wirkt sie recht undurchsichtig, wenn ihr etwas nicht passt zwickt sie uns. Innerhalb der Gruppe sind Jessica und Sylvester ein Paar. Karla Schreihals liebt Sylvester und wird deshalb zeitweise von Jessica geschlagen. Die Kleinen halten zusammen, spielen gerne. Wenn die Spiele der Kleinen zu wild werden, ruft Jessica zur Ordnung auf.

Hat man männliche Tiere muß man sie früher oder später kastrieren lassen. Sonst kämpfen sie gerade in der Gefangenschaft manchmal so heftig um die Rangordnung, daß sie sich gegenseitig ernstzunehmende Bißverletzungen zuführen können. Am besten funktioniert ein Rudel mit einem kastrierten Bock und dazu Weibchen. Wir haben beobachtet, daß kastrierte Böcke gutmütig, bis einfältig sind.

Unser Sylvester (11 Monate) ist ein lieber Kerl mit freundlichem Wesen. Er umgurrt seine Damen, besonders Jessica sein Weib. Er liebt die Gemeinschaft mit seinen Damen, schmust oft und ißt sehr gerne, kennt jedoch am Futternapf keine Freundlichkeit mehr. Sylvester spielt auch gerne mit Bällchen und kleinen Stofftieren, dazu läd er seine Damen manchmal zu einem gemeinsamen Spiel ein. Sylvester ist der Stabilisator des Rudels. Wenn es Streit gibt zischen sich die Damen gegenseitig an und drohen auch mal mit den Zähnen( Imponierstellung). Er stellt sich dann dazu und macht mehrmals "gurr, gurr, gurr", danach kehrt wieder Frieden ein. Nur wenn es zu heftig wird traut er sich das nicht. Dann muß die Jessica ran. Man kann also einen Bock (möglichst kastriert, damit sich keinen unerwünschten Nachwuchs einstellt) mit mehreren Weibchen in einem großen Käfig oder Auslauf zusammenhalten, niemals jedoch mehrere Böcke mit Weibchen, es sei denn das Gehege ist wirklich groß genug und ihr Sozialverhalten wurde nicht durch die bisherige Haltungsweise gestört.

Ein typisches Rudelverhalten kann man auch beobachten, wenn man zwei oder mehrere Meerschweinchen hält, nämlich das Nachlaufen. Wenn man die Tiere auf einer größeren Fläche laufen läßt, so kann man beobachten, daß die Tiere meistens relativ dicht hintereinander laufen. Bei Meerschweinchen gibt ein typischer Anführer und typische Nachläufer. Meerschweinchen gehen nach Geruch, nach dem Motto: "Sage mir, wie du riechst, dann sage ich dir, ob ich dich kenne, ob du zu meiner Sippe gehörst und welches Geschlecht du hast." Meerschweinchen lernen auch schnell verschiedene Töne, Geräusche oder Rufe voneinander zu unterscheiden. Sie sind untereinander recht gesprächig und haben sich immer eine Menge zu erzählen.

Weibchen vertragen sich in der Regel gut. Aber auch unter ihnen gibt es ein " Leitweibchen", das unter seinesgleichen und den Jungtieren für Ordnung sorgt. Dabei zeigt es oft ein spezielles Verhalten. Auf den Hinterbeinen sitzend windet es sein Hinterteil langsam hin und her und klappert mit den Zähnen. Wird ein untergeordnetes Tier allzu renitent, muß gelegentlich das Leittier eingreifen. Diese Aufgabe nimmt unsere Jessica sehr genau.

Die Jungen lernen von ihrer Mutter und von den anderen Tieren im Rudel wie und was man futtert, wie man aus der Flasche trinkt, und auch das Werbeverhalten wird fleißig geübt. Jungtiere laufen und springen gerne. Ihre übermütigen Luftsprünge aus dem Stand, womöglich noch mit einer Drehung in der Luft, können eine beträchtliche Höhe erreichen. Das wiederum auch auf ältere, erwachsene Meerschweinchen ansteckend wirken kann. Das kann man dann beobachten, wenn man die Tieren gerade mit frischem Heu oder Grün versorgt hat. Auch wenn ich sauber mache, bekommen sie richtige "Hupfanfälle", wo einer beginnt zu hüpfen und die anderen Tiere machen dies dann auch.

Unsere Lissi Flitzefloh ( Tochter von Jessica, 4 Monate alt) ist hierfür das beste Beispiel. Sie hat ein lustiges und zartes Wesen, hüpft und springt gerne und steckt die anderen Artgenossen damit an. Sie nimmt gegenüber uns Menschen eine Sonderstellung ein und nützt dies aus, fordert zum Verwöhnen heraus und verlangt ihre Schmusestunden. Sie sucht oft noch bei der Mutter Schutz, möchte am liebsten extra gefüttert werden, ist besonders auf uns Menschen fixiert und zeigt ihre Schutzbedürftigkeit. Sie ist das schwächste Glied in der Gruppe, jedoch so intelligent, daß sie alles erreicht.

Der Zusammenhalt zwischen den Jungtieren untereinander ist größer als zwischen Mutter und Kind. Jungtiere vertragen sich untereinander gut. Karla Schreihals (4 Monate) spielt gerne zusammen mit Lissi und Ronja, sie verstehen sich gut. Karla klettert und springt gerne, ist risikofreudig bis leichtsinnig, kann sehr laut schreien, ißt gerne, bewegt sich viel, geht Sylvester nach (verliebt), kann sich gegenüber ihren Artgenossen gut durchsetzen. Karla mag sehr gerne Menschenkinder und ist zu Erwachsenen sehr zurückhaltend bis schreckhaft. Sie braucht lange Zeit um Vertrauen zu fassen.

Unsere Ronja Räuberstochter (Tochter von Sylvester, 3 Monate alt) ist das jüngste Meerschweinchen in der Quietscherranch. Sie hat ein lustiges und freches Wesen, ist immer zu Streichen aufgelegt. Sie setzt sich auf ein Haus drauf und hüpft ihrem Vater mit Freuden unverhofft von oben auf den Kopf. Der arme Kerl erschrickt dann fürchterlich und mit ihm die ganze Quietscherranch. Alle rennen fluchtartig davon. Ronja rennt natürlich mit, obwohl sie dies ausgelöst hat. Sie zerrt ihren Vater Sylvester auch gerne am Fell, spielt gerne mit Bällchen. Weiterhin kommt ihr in der Gruppe, wenn es Futter gibt, die Aufgabe das Läuten von einem Glöckchen zu.

Bei jeder Futtergabe, auch bei Grün, wird von uns ein Glöckchen geläutet. Unsere Meerschweinchen wissen was dies bedeutet, kommen dann zum futtern. Ronja lernte dieses läuten des Glöckchens und dessen Bedeutung recht schnell .Sie wird von ihren Artgenossen dazu aufgefordert zu läuten, wenn etwas fehlt oder sie Grün möchten. Beim Betreten des Raumes werden wir freundlich bis kreischend begrüßt. Fremden gegenüber sind unsere Meerschweinchen zunächst zurückhaltend. Erst wenn man vorgeschnuppert hat ob es sich bei dem Besucher um einen Tierfreund handelt, oder dieser ihnen sogar etwas mitgebracht hat werden sie zutraulicher. Mit Gastgeschenken (Grün) macht sich jeder Besucher schnell beliebt. Aus langjähriger Erfahrung können wir sagen, es gibt auch Meerschweinchen die zu Menschen eine engere Beziehung haben als zu ihren Artgenossen. Das Sozialverhalten von Meerschweinchen bleibt immer spannend und abwechslungsreich. Mancher Mensch kann daraus auch noch etwas lernen.